Vom Intensivpfleger zum Ethikberater

Ethikpionier: Hans-Georg Hausmann ist die erste Pflegeperson in Österreich, die mit der höchsten Zertifizierungsstufe als Trainer für Ethikberatung im Gesundheitswesen ausgezeichnet wurde. (c) Ordensklinikum Linz
Schon in der Kindheit begeisterte sich der diplomierte Gesunden- und Krankenpfleger für die Philosophie. Da das Fachgebiet der Ethik ebenfalls die großen Fragen des Lebens behandelt, sattelte Hans-Georg Hausmann nach 25 Jahren als Intensivpfleger nun um.
Beratung in schwierigen und belastenden Situationen
„Stellen Sie sich vor, Sie müssen Entscheidungen über Leben und Tod Ihrer Patient:innen treffen. Erhält jemand trotz sehr schlechter gesundheitlicher Voraussetzungen ein knappes Organ aus einer Spende? Wird bei einem hochbetagten Menschen eine Ernährungssonde gelegt, obwohl dadurch der Sterbeprozess eher verlängert wird? Schadet eine Chemotherapie den Patient:innen mehr, als dass sie ihnen hilft? Durch die Ethikberatung wird eine Last von den Schultern der Behandelnden genommen, da sie die Entscheidungsfindung im interdisziplinären Team besprechen können“, beschreibt Hausmann den Hintergrund seiner Arbeit. Gerade für jüngere Personen, die noch nicht auf jahrelang gesammelte Erfahrungswerte zurückgreifen können, ist die Beratung von großer Bedeutung. Sie ermöglicht einen spezielleren und professionelleren Zugang, der von Expert:innen angeleitet wird.
„Ich stehe in Dilemmasituationen den behandelnden Ärzt:innen und Pfleger:innen zur Seite. Gemeinsam sprechen wir über die Ausgangslage, die möglichen Folgen einer durchgeführten oder nicht-durchgeführten Behandlung und entsprechende Handlungsalternativen“, erklärt Hans-Georg Hausmann seine Arbeit. Die wichtigsten Aspekte, nach denen sich die Beratung richtet, sind die medizinethischen Prinzipien Nicht-Schaden, Wohltun, Gerechtigkeit und der Respekt vor Selbstbestimmung. Auf diesen Säulen ruht schließlich die gemeinsam erarbeitete Handlungsempfehlung, die jedoch nicht bindend ist, denn ethische Fallberatungen dürfen die Entscheidungsbefugnis und die Verantwortung der behandelnden Ärzte nicht aufheben. So wird die oft komplexe Situation von unterschiedlichen Standpunkten beleuchtet, und oft ergibt sich daraus ein Blick „über den eigenen Tellerrand“. „Es stehen dann plötzlich nicht mehr nur die Laborergebnisse im Fokus, sondern das größere Ganze. Ich sorge dafür, dass jede Fachperson auch zu Wort kommt und ihre Sicht mitteilen kann“, führt der zertifizierte Ethiktrainer aus. In manchen Fällen sind die Angehörigen der Patient:innen dabei, vor allem, wenn die Betroffenen selbst aufgrund ihrer Krankheit nicht mehr selbst entscheidungsfähig sind.
Belastend: Viele Ärzt:innen sind bei Entscheidungen über Leben und Tod auf sich allein gestellt. Im Ordensklinikum Linz können sie sich jetzt mit einem Ethikexperten austauschen. © Dmitriy Gutarev auf Pixabay
Gesellschaftlicher Umgang mit Leiden und Sterben
„Der Tod wird in der Medizin oft als Misserfolg gewertet, obwohl er eine unabänderliche Tatsache ist. Unsere Kultur verschließt sich auch aufgrund der rasanten medizinischen Entwicklungen und der damit einhergehenden hohen Lebenserwartung vor dieser Einsicht. Wir sollten aber nicht nur versuchen, ein gutes Leben zu ermöglichen, sondern auch ein gutes Sterben, wenn die Zeit gekommen ist“, so Hausmann. Es besteht die weitverbreitete Meinung, dass die Ärzt:innen „dazu da sind“, die Menschen gesund zu machen. „Entscheidungen, die den Tod im Blick haben, fallen dann besonders schwer.“ Auch in diesen Fällen kommen die Ethikberater:innen zum Einsatz und bieten ihre Unterstützung an.
Ethikpionier mit jeder Menge Erfahrung
Ein Vierteljahrhundert war Hans-Georg Hausmann als Intensivpfleger im Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern tätig. 2019 startete er berufsbegleitend mit dem Aufbaustudium Professional Master of Medical Ethics, welches er 2022 mit Auszeichnung abschloss. Nebenbei absolvierte er die Ausbildung zum Ethikberater über die Akademie für Ethik in der Medizin (AEM). Durch sein umfangreiches theoretisches Wissen, das er mit seinen praktischen Erfahrungen bei Beratungen am Bett der Patient:innen ergänzen konnte, wurde er von der Akademie nun mit der höchsten Zertifizierungsstufe als Trainer für Ethikberatung im Gesundheitswesen ausgezeichnet. Hans-Georg Hausmann ist die erste Pflegeperson in Österreich, die diese Qualifizierungsstufe erreicht hat. In ganz Österreich gibt es insgesamt nur vier Personen, die diese Zertifizierung erhalten haben. Der Ethiktrainer beschreibt: „Das zeigt auch, dass die Ethikarbeit noch in den Kinderschuhen steckt – am Ordensklinikum Barmherzige Schwestern gibt es das Ethikkomitee seit 15 Jahren, in vielen anderen Krankenhäusern wurde so eine Organisation noch gar nicht etabliert – und wir leisten auf diesem Gebiet Pionierarbeit.“ Dass nun auch Pfleger:innen Ethikberatung leisten und sich bis zu zertifizierten Trainer:innen hocharbeiten können, eröffnet neue Karriereperspektiven für das Pflegepersonal.
Leitfaden für ärztliches Personal: Das Ordensklinikum Linz verfügt nicht nur über einen eigenen Ethikberater, sondern auch über einen Ethikkodex, an dem sich alle orientieren. © Julio César Velásquez Mejía auf Pixabay
Ethik als Tradition im Ordensklinikum Linz
Ethik spielt traditionell im Ordensklinikum Linz eine wichtige Rolle. Als die christliche Führung der Ordensspitäler in weltliche Hände gelegt wurde, entstand der Ethikkodex. Dieser soll in den oft so schwierigen Fragen der Medizin Orientierung und einen grundsätzlichen Leitfaden für ärztliches Personal und therapeutische Teams bieten. Um dem Wandel der Zeit und der Gesellschaft gerecht zu werden, setzen sich die Ethikbeauftragten regelmäßig mit aktuellen Themen, wie beispielsweise dem neuen Sterbeverfügungsgesetz, auseinander. Die klinische Ethikberatung erfolgt durch den Ethikberatungsdienst (EBD), für die Bewusstseinsbildung für ethische Themen, Organisationen von Veranstaltungen ist das Klinische Ethikkomitee (KEK) zuständig. Hans-Georg Hausmann ist in beiden Teams vertreten und kann dort seine hohe fachliche Expertise anwenden. „Die positive Resonanz der Behandelnden, aber auch der Angehörigen gibt uns jedenfalls Recht, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, findet Hans-Georg Hausmann abschließende Worte.
Quelle: Ordensklinikum Linz